Die Schneekönigin, nach Hans Christian Andersen
(Ein Märchen für Erwachsene)
von Nino Müntnich
Bonn, 24. Dezember 2023

Vor langer Zeit in einer nördlich gelegenen kleinen Stadt lebten Kay und Gerda. Die Nachbarskinder verbrachten viel Zeit miteinander. Im Sommer über der Dachrinne, wo beide Dachwohnungen sich aneinanderfügten, sie spielten, lasen, lachten, träumten gemeinsam und mit der Zeit wurden sie
sehr gute Freunde.

Im Winter, als die ganze Stadt in Weiß verhüllt wurde und Kinder im Schnee spielten, war es ein großer Spaß der Jungs, sich mit Schlitten an vorbeifahrende Kutschen dranzuhängen. Und als eine prunkvoll gestaltete Kutsche vorbeifuhr, hängte Kay sich dran und wurde verschleppt. Was Kay nicht wusste: Die Kutsche gehörte der perniziösen und launischen Schneekönigin, die sich einen Spaß daraus machte, Kay in seinem Schlitten fast erfrieren zu lassen. Am Ende der Fahrt zog sie den vor Kälte blau gewordenen Kay in ihre Kutsche hinein, küsste ihn und tötete mit dem Kuss alle seine Gefühle und Erinnerungen.

Es verging der Winter. Gerda wartete täglich auf Kay und im Frühling machte sie sich auf die Suche nach ihm. Sie suchte ihn, fragte nach ihm, aber niemand konnte ihr helfen. Kay war wie vom Erdboden verschwunden.

Während der Suche nach ihrem Freund wurde Gerda mehrmals von abscheulichen, bösartigen Hexen überfallen, die Haare auf den Zähnen hatten, die sie bedrohten und ausraubten. Aber Gerda konnte nicht aufhören, ihren Freund Kay zu suchen, mit allerletzter Kraft und geschenktem Muff und Mantel machte sie sich auf dem Weg zum Schloss der Schneekönigin. Mit Hilfe eines gutmütigen Gelehrten spürte sie den Eispalais der Schneekönigin auf. Hunderte gespenstische Säle fand sie vor, in welchen entsetzliche Kälte und furchterregende Leere herrschten. Einen Saal nach dem
anderen durchlief sie, in der Hoffnung ihren Freund zu finden, und in dem letzten, im Thronsaal, fand sie Kay vor.

Kay, fast schwarz vor Kälte, saß auf einem Sessel aus Eis und spielte mit sich Schach. „Hallo Kay“, aufgeregt begrüßte Gerda ihn. Kay sah sie an, aber erkannte sie nicht. Er war immer noch mit seinem Spiel beschäftigt und murmelte
dabei unverständliche Wörter. Gerda versuchte, seine Erinnerungen zu wecken, erzählte ihm lustige Erlebnisse vom gemeinsamen Teetrinken, Spaziergängen am Fluss, von seinen Lieblingsgerichten….

Sie weinte, ihre glühend heißen Tränen fielen auf Kay. Er sah Gerda wohlwollend an…

Lassen Gerdas Tränen ein im Eis verborgenes Herz schmelzen?

Fortsetzung folgt.